Par­la­men­tarisch­er Abend des LFB Sachsen

10. September 2025

Die geopolitische Neuordnung und die Rolle von EU und Deutschland

 

Rund 1,5 Mill. selbstständige Freiberufler mit 4 Mill. Beschäftigten und 129.000 Auszubildenden erwirtschaften 10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. „Sie sind damit eine nicht zu unterschätzende Wirtschaftskraft“, so Präsidentin RA Cornelia Süß zur Eröffnung des Parlamentarischen Abend des LFB Sachsen e.V. am 10. September 2025 in Dresden. „Die Veränderungen in der Welt, der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine, die Zunahme antidemokratischer Regierungen, der Rückgang der Demokratie und die Zunahme der Migration sind Entwicklungen, die auch die Freien Berufe betreffen.“ Welchen Einfluss nehmen die Freien Berufe darauf? Präsidentin Süß: „Wir müssen in Zukunft stärker mitgestalten und eine aktive Rolle einnehmen. Und wir brauchen Zuwanderung und Integration statt Beitragssteigerungen, um die Folgen des demografischen Wandels sowie den Fachkräftemangel abzufedern. Gleiches gilt für die Politik, die entsprechende Rahmenbedingungen für Zuwanderung und Integration schaffen müssen.“ 

 

In seinem anschließenden Grußwort betonte Ministerpräsident Michael Kretschmer vor rund 100 Gästen, dass die Freien Berufe und die Politik ein gemeinsames Nachdenken um das Land eint. Die Kraft der Selbstständigen mache diese Land aus. Es brauche die Leistungsgesellschaft, man könne sich nicht auf dem Wohlstand ausruhen, so der Ministerpräsident. Die Stärkung der Demokratie und des Unternehmertums müssten gemeinsame Ziele sein. Dem Fachkräftemangel könne man mit Zuwanderung begegnen oder indem man die Tatbestände für Teilzeitarbeit ändert und mehr Menschen wieder in Vollzeit bringt. Die Jahresarbeitszeitzeit in der Schweiz betrüge 1.500 Stunden, in Deutschland nur 1.300 Stunden, so der Ministerpräsident. Dies entspreche vier zusätzlichen Arbeitswochen.

 

In seinem vielbeachteten Festvortrag „Von der regelbasierten zur machtbasierten Weltordnung. Die Folgen für Europa und Deutschland“ ging Prof. Herfried Münkler, emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin, darauf ein, wie sich die globale und europäische Machtordnung durch internationale Krisen, den Zerfall alter Bündnisse und neue Rivalitäten radikal wandelt. Er analysierte die aktuellen geopolitischen Umbrüche wie den Angriffskrieg Russlands in der Ukraine sowie die Zertrümmerung des transatlantischen Westens und der wertebasierten Ordnung durch Donald Trump für Deutschland und die Europäische Union. Insbesondere die Entwicklung Putins mit seinem Streben nach Macht im Schwarzmeerraum zeige, dass die Ukraine nur Teil einer großen Strategie ist. Zu den nächsten Zielen zähle neben Moldawien vor allem das Baltikum, um mehr Einfluss im Ostseeraum zu erlangen. Putin wende eine Strategie an, wie sie Hitler vor 1939 genutzt habe: Eine Eroberung Stück für Stück, um große Gegenreaktionen zu vermeiden. Allerdings hat er sich mit der Ukraine verkalkuliert, die er in zwei Wochen erobern wollte. Laut Prof. Münkler eine Folge der progredierenden Selbstverdummung von Autokraten, weil die eigenen Gefolgsleute nicht die Wahrheit sagen. Derzeit findet ein Übergang zu einer raueren Weltordnung statt, in der die fünf Machtblöcke USA, China, Russland, Indien und Europa um regionale Einflusszonen konkurrieren. Deutschland und die EU befänden sich dabei in einer Sandwichposition zwischen einer imperialen US-Regierung und Putins Russland: Vom Osten bedroht vom Westen wirtschaftlich erpresst.

 

Deutschland müsse, so Prof. Münkler, eine stärkere Führungsrolle in Europa übernehmen, den Pazifismus hinter sich lassen und strategische Autonomie entwickeln - etwa durch den Aufbau einer europäischen Armee und einer Abkehr vom „Europa der Vaterländer“. Der Krise westlicher Demokratien und der Bedrohung durch Populismus müsse ein neues strategisches Denken der deutschen Politik und ein Ende politischer Zögerlichkeit entgegengesetzt werden. Deutschland und die EU müssten sich als widerstandsfähig und handlungsfähig gegenüber Russland und China sowie, falls nötig, als unabhängig von den USA erweisen. Um einen Zerfall Europas zu verhindern, seien grundlegende Reformen notwendig. Prof. Münkler fordert einen realpolitischen Umgang mit der veränderten Weltlage und einen bewussten Machtanspruch Deutschlands innerhalb Europas, um deren Stabilität und Handlungsfähigkeit zu sichern.

Prof. Dr. Herfried Münkler
Ministerpräsident Michael Kretschmer